Leuchttürme gefragt

Eigentlich haben sie in der heutigen Zeit keine Bedeutung mehr und sind durch moderne Ortungsdienste ersetzt worden. Allenfalls als Ausflugsziele und farbenfrohe Hingucker in rauer Küstenlandschaft verbinden viele persönliche Erinnerungen mit ihnen, den Leuchttürmen an dieser oder jener Küste. Doch wenn man der sprachlichen Nutzung des Wortes „Leuchtturm“ auf der Spur bleibt, zeigt sich, dass Leuchttürme Hochkonjunktur haben. In gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchzeiten erlebt der Leuchtturm eine Wiedergeburt. Der Ruf nach einem Hoffnungsschimmer, einem Leuchtturm, einer Orientierungshilfe wird laut. Man sucht Vorbilder oder Orientierungspunkte, die helfen, für sich und die Gesellschaft Wege in eine ungewisse Zukunft zu finden. Die evangelischen Kirchen laden an diesem Wochenende zu einem Rollentausch ein. Das Evangelium für diesen Sonntag aus der Bergpredigt Jesu vertauscht die Rollen. Nicht wir schauen auf die Hoffnungsträgerin, den Hoffnungsträger, die starke Führungskraft, die neue Technologie, die alle Probleme löst, sondern Jesus lädt alle ein, die ihm nachfolgen: Ihr selbst seid ein Leuchtturm. „Ihr seid das Licht der Welt.“ Das sind Worte ungeheurer Wertschätzung. Doch seien wir mal ehrlich! Stimmt das, was Jesus sagt denn überhaupt? Jetzt kommt es auf den Betrachter an. Es stimmt, in den Augen Jesu! Gott sieht die Menschen so an und sieht in ihnen, was objektiv nicht da ist, aber was er ihnen zuspricht. Wie Gott die Menschen ansieht und was er in ihnen sieht und was er selbst in sie hineinlegt, das verändert Menschen. Jesus sagt auch: „Ein guter Baum bringt gute Früchte, und ein schlechter Baum bringt faule Früchte.“ Damit meint er: wer zu mir gehört, der wird gute Früchte bringen! Ich bin mit euch so eng verbunden, dass ihr selbstverständlich Leuchttürme seid.

Und schauen wir uns das Leben der Jünger näher an, die den Querschnitt der damaligen Gesellschaft repräsentierten, dann müssen wir im Nachhinein feststellen: Jesus hatte Recht. Diese Fischer, Finanzbetrüger und Untergrundkämpfer wurden zu Evangelisten, Gelehrten und Hirten. Sie wurden zu Missionaren und Märtyrern, die Weltgeschichte geschrieben haben. Sie wurden Licht der Welt, weil das Ansehen, das sie bei Jesus hatten, zu ihrer neuen Identität geworden ist. Für Jesus war der Kreis seiner Nachfolger nicht festgelegt, sondern ist offen bis heute. Jeder, der sich unter dem Einfluss des Kraftfeldes Jesu Christi sieht, ist eingeladen diesen Rollentausch für sich zu vollziehen: nicht auf die vermeintlichen Leuchttürme der Zeit zu blicken, sondern sich selbst als ein „Licht der Welt“ zu sehen und für andere das zum Strahlen zu bringen, was Gott in uns erstrahlen lässt. Unsere Welt braucht dringend Leuchttürme des Alltags.

Pfr. Dr. Christoph Rymatzki, Ev.-Luth. Kirchengemeinde Jena, Sprengel Wenigenjena