Manchmal gibt es im Leben Geschichten, die so tief mit unserer eigenen verwurzelt sind, dass wir sie fast vergessen. Geschichten von Herkunft, von Schmerz und Verbindung, die uns formen. Als Menschen. Als Christen. So ist es auch mit der gemeinsamen Geschichte von Judentum und Christentum. Wenn wir an Israel denken, kommen uns Bilder von aktuellen Konflikten und tiefen Trennungen in den Sinn. Dabei ist der Blick auf dieses Land und sein Volk für uns als Christen untrennbar mit unseren eigenen Wurzeln verbunden. Am sogenannten Israelsonntag geht es genau darum: um das komplexe, schmerzhafte, aber vor allem unauflösliche Band zwischen beiden Religionen.
Das Grundbekenntnis des Volkes Israel lautet: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott“. Diese Worte aus dem Schma Israel sind nicht nur das Fundament des jüdischen Glaubens, sondern auch der Ursprung unseres eigenen. Das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen. Jesus selbst war Jude. Viele seiner Lehren, wie das höchste Gebot der Gottes- und Nächstenliebe oder die Bedeutung des Gesetzes, sind ohne das Judentum kaum zu verstehen. Das Volk Israel spielt eine bedeutsame Rolle in der Geschichte Gottes mit den Menschen - Israel als das auserwählte Volk. Dieser Bund besteht fort, auch wenn wir heute vielleicht nicht alle Facetten von Gottes Plan mit beiden Religionen verstehen. Ursprünglich wurde der Israelsonntag im 16. Jahrhundert als Gedenktag für die Zerstörung des Jerusalemer Tempels eingeführt. In der Vergangenheit wurde er jedoch oft missbraucht, um eine angebliche Überlegenheit des Christentums zu demonstrieren – eine schmerzliche und traurige Praxis, die dem Leid des jüdischen Volkes Hohn sprach. Heute hat sich die Perspektive glücklicherweise gewandelt. Im Mittelpunkt steht das Gedenken an das Unrecht, das den Juden in der Geschichte widerfahren ist. Gleichzeitig ist es ein Tag der Besinnung auf die tief verwurzelte Verbundenheit und die guten Beziehungen, die heute zwischen Juden- und Christentum aufgebaut werden. Der Israelsonntag ist mehr als nur ein Gedenktag. Er ist eine Einladung, unsere eigene Identität neu zu verstehen – als Teil einer größeren Geschichte, die uns untrennbar mit dem jüdischen Volk verbindet. Er erinnert uns daran, dass wir nicht nur eine gemeinsame Vergangenheit haben, sondern auch eine gemeinsame Hoffnung auf Frieden und Respekt. In einer Welt, die von Konflikten geprägt ist, sollte dieser Tag für uns alle ein Zeichen dafür sein, dass Versöhnung und gegenseitiges Verständnis heutzutage möglich sein können.
Pfarrerin Alexandra Harpers, Schulpfarrerin im Kirchenkreis Jena, Gemeindepfarrerin im KGV Magdala